DAS LEBEN ALS MENSCH: Neulich ….. als ich zum drogenabhängigen, transsexuellen, türkischstämmigen Kleinkriminellen mit bipolarer Störung wurde

von danielanderson1502

Ein jüdischer Witz aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts illustriert die Klage eines namenlosen Literaten: „Um heute in der deutschen Literatur etwas zu werden, muss man entweder meschugge, Ausländer oder ein transsexueller Krüppel mit krimineller Vergangenheit sein. Am besten ist es, man ist ein verrückter, ausländischer, transsexueller Krüppel der wegen Bankraub und Mord eingesessen hat, dessen Hobby es ist, als Totengräber zu arbeiten und am Wochenende in der Gerichtsmedizin bei Obduktionen assistiert.“

Meinen unmaßgeblichen aber persönlichen Erfahrungen nach gilt das im Kern auch heute noch. 2012 hat sich nur marginal etwas daran geändert, aber nicht prinzipiell, die Unverschämtheiten sind größer geworden und wachsen direkt proportional zur Eurokrise. Die Begebenheit, die mir das bewusst machte, spielte sich in einem kleinen Café am Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte ab. Da, wo jeder unfassbar hipp ist, jeder kurz davor, eine Ausstellung, eine CD, eine Lesung oder einen Kinofilm zu ‚releasen‘. Dass ich hier wohne, ist Zufall und hat eher mit der Lage der Schule für meine Tochter zu tun als mit dem Lifestyle, dem man sich verschreiben wollte. Ja, und ‚verschrieben‘ hatte ich mich, wie sich zeigen würde.

Es war mir tatsächlich gelungen, einen ‚Crossagent‘, früher nannten sich die Herrschaften noch ‚Literaturagenten‘, aber das ist nicht mehr Hipp genug, für meinen Roman TIEFROT zu interessieren – auf der Folie eines Krimis wird eine Geschichte über das Erwachsenwerden in den 70ger Jahren in der DDR erzählt. Der Herr, den ich traf, machte einen äußerst professionellen, geschäftigen Eindruck, eben so, wie man sich einen Vertreter dieser, Medien- oder  Kommunikationswissenschaften studiert habenden Angehörigen dieser Spezies vorstellt: längeres, etwas schütteres Haar, Bart, Trenchcoat zu Bluejeans, weißes Hemd, Donald-Duck-Schlips, randlose Brille, Siegelring. Kann sein, dass dieses Klischee von unzähligen Filmen und Talk-Shows geprägt worden, mithin also meiner Verbildung geschuldet ist. Ich saß also Herrn M. gegenüber und sein zunächst offen zur Schau gestelltes Desinteresse ließ mich fragen, warum er sich denn mit mir treffen wollte. Meine, in unzähligen Vorstellungs- und Bewerbungsgesprächen gestählte Coolness bröckelte nach 20 Minuten, in denen nicht ein Wort über meinen Text verloren wurde. Vielmehr machte mich der Austausch von Belanglosigkeiten so nervös, dass ich M.s Cappuccino umstieß und der Milchschaum auf Donald Ducks Entenschnute einen drolligen Fleck zauberte. Die Befürchtung, dass das Gespräch damit schon beendet sei, stellte sich als falsch heraus, denn M.s Temperatur änderte sich, wie mir schien, tatsächlich schlagartig. Jetzt ging’s ans eingemachte. Die Frage, ob ich unter einer motorischen Störung leide, die ich zunächst als Sarkasmus wahrnehmen wollte, war wirklich ernst gemeint. Und da ich ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte, bejahte ich beschämt. Ich lobte die Beobachtungsgabe meines Gegenüber. Ich schlug verlegen die Augen nieder und wippte mit meinem rechten Fuß in einer solchen Geschwindigkeit, die Ginger Baker hätte mehr als blass aussehen lassen.

M. zog ein Notizbuch aus der Innentasche seines Mantels, das ist doch schon mal ein Anfang, Herr…. Anderson, half ich nach, Daniel Anderson. Richtig, pflichtete er mir bei und machte sich mit einem Montblanc Notizen in sein Buch.

Sagen Sie, Herr Danderson, ich frage das jetzt aus rein beruflichem Interesse, welche sexuellen Präferenzen haben Sie?

Die Frage erwischte mich wie ein Doppeldeckerbus auf der Straße des 17. Juni, ich verschluckte mich an meinem Mineralwasser und prustete eine Fontäne auf den Tisch.

M. lächelte, daraus kann man schon mal was machen, wie ich meine.

Sie meinen?

M. wurde milde, geradezu gütig, wie ein Vater, der seinem zurückgebliebenem Kind die Welt zu erklären versucht, mittelmäßige Texte wie den, den Sie da geschrieben haben, gibt’s wie Touristen in Berlin. Um hier zu verkaufen müssen Sie entweder mal einen richtigen Porno in der Schreibe von Günter Grass raushauen – aber das können Sie nicht, dafür haben Sie nicht das Talent. Obwohl dieses eine Kapitel, wo Ihr Held das erste mal dieses Mädchen da fickt, das ist schon mal was, wenn auch nur was halbes.

Aha, dachte ich, bis dahin hat er immerhin meinen Text gelesen.

Aber gut, M. kippte die Reste seines Capuccinos, das reicht bei weitem nicht. Also, wir pimpen Ihre Person ein bisschen, wir müssen Sie ganz anders aufstellen, sollte für die erste Auflage reichen und das werfen wir einfach den Kritikern zum Fraß vor. Schwul wäre gut, noch besser, Sie wären ein Türke, der sich zur Frau hat umbauen lassen und jetzt lesbisch geworden ist.

Oh, ich machte große Augen und mein Mund klappte ein paar Mal auf und zu wie ein Koi, den man aus dem Becken gefischt hat, nein, tut mir leid, damit kann ich nicht dienen, weder mit dem einen, noch mit dem anderen.

Schade. Auch nicht in Ihrer Familie vielleicht? Ich wiegte den Kopf hin und her und tat so, als würde ich überlegen, ja, also, da wäre vielleicht was, aber das ist zu privat.

Ach, Herr Derson, wenn sie so einen schlechten Text wie Ihren an den Leser bringen wollen, muss man zu Opfern bereit sein.

Ich lehnte mich vor und flüsterte, als würde ich ein Geheimnis preisgeben, nein, das geht nicht.

M.s Enttäuschung waberte zwischen uns ein paar Mal hin und her und fiel schließlich mit einen Platschen auf den Tisch, mal sehen, wir finden schon was, Herr Nadersohn, sie sind aber auch wirklich zu normal, durchschnittlich eben, nicht mal alleinerziehend, oder?

Nein, nicht mal das.

Aber Sie haben Kinder?

Ein Tochter, aber die ist tabu.

Schade. Wie siehts mit Körperbehaarung aus?

Was hat das mit meinem Text zu tun? Nichts, aber darum gehts ja grade! Depressionen?

Hin und wieder bin ich schon auch mal melancholisch, gab ich zu und spielte schamhaft mit meinem Handy herum.

Okay, sehr gut, sehen Sie, geht doch, jetzt kommen wir voran, die Behinderung und die Depressionen hätten wir schon mal. Sie sind im Osten aufgewachsen, aber das zieht nicht mehr so richtig, das erwähnen wir nur im Nebensatz. Ihre Familie ist ursprünglich aus?

Aus Schlesien.

Schade, nicht aus der Türkei oder vielleicht dem Nahen Osten? Nein. Na gut, aber vielleicht,  lässt sich ja darauf aufbauen. Nachkomme der zweiten Generation von Vertriebenen aus den Ostgauen. Könnte man Ihre politische Einstellung als eher konservativ bezeichnen?

Auf keinen Fall!

Na, kommen Sie, Herr Maderson, so ein paar Zugeständnisse müssen sie schon auch machen.

Aber jeder, wagte ich einzuwenden, der den Roman liest, wird wissen, dass das gelogen ist.

Sie sind ein hoffnungsloser Fall – niemand wird Ihr Geschreibsel lesen, niemand, wenn wir da nicht bisschen nachhelfen. Drogen?

Schon sehr lange her, dass ich mal einen Joint geraucht habe.

Na immerhin, Gott sei Dank, schauen wir mal weiter.

Religion?

Dazu sage ich nichts, Religionen haben immer etwas mit leichtem Wahnsinn zu tun.

Perfekt, jetzt sind wir auf dem richtigen Weg, Herr Betason.

M. war offensichtlich in seinem Element, er erschuf mich neu, wie einst Frankenstein in seinem Ingolstädter Labor ‚the creature‘ zum Leben erweckte. M. versank in seine Notizen und rekapitulierte, was er schon hatte: ‚Wertkonservativer Nachkomme von Vertriebenen aus Schlesien mit bipolarer Störung, der seine Körpernehaarung nicht verleugnet, aufgewachsen in der tiefroten DDR, …. M. hob den Kopf, um sich den Beifall für den Bezug zum Titel des Romans abzuholen – ich nickte brav. ….findet der Berliner Autor spät zu seiner eigentlichen Bestimmung. Er taucht ein in eine unbekannte Welt von Migranten, Transsexuellen, Kleinkriminellen und religiösem Wahnsinn. Seine Drogenerfahrungen in diesem Milieu und die Dämonen seiner Vertriebenendepressionen verarbeitet er in zahlreichen Gedichten und Kurzgeschichten, die er durch seinem Blog einer stetig wachsenden Fangemeinde von Lesern zugänglich macht. Der vorliegende Text ist sein erster Roman.‘ M. blickte zufrieden, na bitte, geht doch, das hätten wir schon mal.

Ja, murmelte ich, jetzt muss ich nur noch den Text schreiben, der darauf passt.

Na, das wird ja wohl nicht so schwer sein, Herr Johansson. Lassen Sie den Titel ruhig stehen, den Rest von ihrem ‚Roman‘ (er prononcierte das Wort so, als würde er über Exkremente reden), legen Sie in die Nähe des Ofens. Schreiben Sie einfach noch mal bisschen drauflos, dann wird das schon, dafür wird Ihr Talent ja wohl noch reichen. Und als nächstes machen wir dann ein Kinderbuch – Maulwurf ist cool, Igel auch, kommt immer gut an bei den Latte-Macchiato-Mamas im Prenzlberg. Da können Sie sich schon mal ein Titel überlegen. So in der Art „Vom kleinen Mauligel“.

Ja, ich lächelte schwermütig, aber sagen Sie, was wird mit dem Buch, was ich eigentlich veröffentlichen wollte?

Vergessen Sie den Quatsch, den Sie da zusammengeschmiert haben, ich hab auf Seite 54 aufgehört und ich war noch gutwillig, interessiert keine Sau, wenn nicht eine verruchte Lebensgeschichte des Autors dahinter vorlinst, M. zwinkerte mir verschwörerisch zu.

Aber das ist doch auch ein Krimi und ich dachte, Krimi geht immer?

Wer hat Ihnen denn diesen Schwachsinn eingeredet?

Keine Ahnung, Kollegen von Ihnen.

Pah, Krimi, im Fernsehen vielleicht, aber so politisches Zeug mit bisschen Krimiklimbim drumrum, wie Sie das schreiben, nee, Herr Friederson, das ist durch für die nächsten 20 Jahre. Und, da wir schon mal beim Thema sind, Sie sollten sich mal einen neuen Namen zulegen. Ich könnte mir vorstellen, dass man mit einem Namen, der an Sinti und Roma erinnert, noch was reißen kann, die hätten wir dann auch im Sack.

Ich sank zurück und wusste plötzlich, wie es sich anfühlt, wenn eine durstige Elefantenherde über einen hingefegt.

M. grinste zufrieden, Herr Baldurson, Sie haben mir den Tag gerettet. Mein Büro schickt Ihnen dann die Rechnung. Oh, ich muss dann mal wieder, hab‘ gleich noch einen Kunden.

Und schon raffte er sich auf und verließ im Sturmschritt und mit wehenden Rockschößen die Lokalität. Ich weiß nicht, wie lange ich bewegungslos noch in dem Café saß, irgendwann machte die Bedienung Feierabend und ich machte mich daran, eine neue Karriere zu beginnen. Falls Ihnen in einigen Jahren, möglicherweise mal in einer Talkshow, ein Typ begegnet, von Drogen ausgemergelt, mit schmutzigen Fingernägeln und Halbglatze, von deren Moosrand die grauen Strähnen fettig auf den Kragen des ehemals weißen Hemdes schlagen, der sich während der Sendung zusäuft und depressives, unausgegorenes Zeug von seiner Familie aus Schlesien erzählt, behauptet, er sei ein Frau, die vorgibt ein Mann zu sein, der vorgibt eine Frau zu sein, dem ständig was aus der Hand fällt und der die ganze Zeit einen Maulwurf tätschelt – dann bin das ich.